Dr. Ulf Häbel berichtet im Interview über aktuelle Entwicklungen in der Dorfschmiede Freienseen.

Laubach. Dr. Ulf Häbel war sein ganzes Berufsleben lang Pfarrer. Er hat nie offensiv versucht, Menschen für den Glauben zu gewinnen. Aber er hatte immer eine Mission. Anfang der 1990er Jahre, er war gerade auf die Pfarrstelle in Freienseen gewechselt, startete er seine erste. Und die hieß: Lasst uns die Schule zurück ins Dorf holen. Es hat lange gedauert, bis es soweit war, aber in zwei Jahren wird die Evangelische Grundschule Freienseen 25 Jahre alt. Wie schnell doch die Zeit vergeht. Schon parallel zur Mission Schule skizzierte und warb Häbel für ein besonderes Konzept: Dass die Menschen von der Geburt bis zum Tod gut in einem Dorf leben können, dass sie vor Ort alles haben, was sie brauchen. Und dass vor allem die Frauen und Männer auch noch im hohen Alter selbstbestimmt weiter im Dorf bleiben können – wenn sie das wollen. Um dieses Ziel zu erreichen, startete Häbel mit einer Gruppe von Unterstützern das Projekt Dorfschmiede. Kurz gesagt: Die baulich heruntergekommene alte Dorfschmiede sollte saniert und ein Haus der Begegnung werden. Zwei Punkte waren wesentlich: In den Räumen sollte eine Möglichkeit zur Tagespflege eingerichtet werden – und ein gut sortierter Dorfladen mit kleinem Café sollte entstehen. Die Geschichte von der Umsetzung des Plans bis zur Eröffnung des Komplexes ist bekannt. Sie war nicht nur Thema in den heimischen Medien, auch überregional wurde darüber berichtet. Es ist ruhig geworden um das Projekt. Der Alltag ist eingekehrt. Und Alltag ist meistens wenig spannend, sondern harte Arbeit. Was einerseits gut ist, aber auch seine negativen Auswirkungen hat: »Der Dorfladen wird schon frequentiert, aber wie die meisten der rund 400 Dorfläden in Deutschland machen auch wir in Freienseen kein ordentliches Plus, was uns mehr Sicherheit geben würde. Wir kommen gerade so über die Runden«, erzählt Häbel. Aber auch das nur, weil vieles ehrenamtlich erledigt werde. »Die alten Menschen und die Kinder im Dorf sind unsere besten Kunden. Würden sie nicht mehr kommen, sähe es düster aus.« Warum das aus Häbels Sicht so ist und warum auch für die Tagespflege die Werbetrommel gerührt werden muss, erzählt er im Interview. Und noch ein anderes, ein neues Thema beschäftigt Häbel derzeit. Es passt aber in sein Lebenswerk: Der frühere Pfarrer ist der Ansicht, dass gerade in kleineren Kommunen wie Laubach der Blick zu sehr fokussiert ist auf den ökonomischen Bereich, das Gemeinwohl aber zu wenig berücksichtigt wird. Warum das aus Häbels Sicht so ist und warum auch für die Tagespflege die Werbetrommel gerührt werden muss, erzählt er im Interview. Und noch ein anderes, ein neues Thema beschäftigt Häbel derzeit. Es passt aber in sein Lebenswerk: Der frühere Pfarrer ist der Ansicht, dass gerade in kleineren Kommunen wie Laubach der Blick zu sehr fokussiert ist auf den ökonomischen Bereich, das Gemeinwohl aber zu wenig berücksichtigt wird.

Herr Häbel, ein Lebensmittelgeschäft mit kleinem Café – was für ein Segen für ein Dorf wie Freienseen. Warum wird das Angebot von vielen nicht genutzt?

Die, die fahren können, holen sich zumindest den Großeinkauf in Laubach oder in Mücke oder fahren noch weiter. Vielen fehlt es an Auswahl, es reicht ihnen nicht, wenn es nur ein lösliches RindfleischSuppenpulver oder Vanillepudding nur von einer Marke gibt. Oder nur vier Apfelsorten – und nicht zwei Dutzend. Viele sagen auch, dass die Produkte im Dorfladen teurer sind, was aber einer Überprüfung nicht wirklich standhält. Fakt ist: Der Dorfladen mit dem Café ist ein feiner Ort der Begegnung – und kein verkümmerter Supermarkt.

Wenn sich das Kaufverhalten der Bewohner nicht ändert, hat das Folgen für den Laden?

Ich kann dazu nur kurz und knapp sagen: Kauft im Ort, sonst ist der Dorfladen fort. Das sollte jedem hier in Freienseen klar sein. Das wäre gerade für die Kinder und die alten Menschen ein harter Schlag, aber tatsächlich auch für die gesamte Dorfgemeinschaft.

Wie viel Umsatz macht denn der Dorfladen, in welchen Dimensionen muss man denken?

Nun, wir sind kein Gewerbetrieb mit Gewinnorientierung. Aber um über die Runde zu kommen, benötigen wir einen Umsatz von mindestens 1000€ pro Tag. Das zu schaffen, ist schwierig. Da müssen auf Dauer viel mehr Menschen im Dorf mitziehen.

Wie ist denn der Stand der Dinge in der Tagespflege?

Die Tagespflege ist seit sechs Jahren fester Bestandteil des Projekts Dorfschmiede. Betreut werden die maximal 15 Menschen aus der Region vom Team der TagesPflegeEngel GmbH und der Chefin Kathrin-Elisabeth Büttner. Die Tagesgäste werden morgens mit einem Bus abgeholt und abends wieder nach Hause gebracht. Von den 15 Plätzen werden immer wieder einige frei, vor allem deshalb, weil Jahr für Jahr Tagesgäste sterben. Seit dem Start in der Dorfschmiede vor sechs Jahren sind das bis heute 30 ältere Menschen.

Wenn Menschen einen Platz für sich selbst oder Angehörige suchen, an wen sollen sie sich wenden?

Am besten direkt an Frau Büttner von der TagesPflegeEngel GmbH in Laubach.

Was erwartet die Menschen in der Tagespflege?

Vor allem natürlich die Gemeinsamkeit, denn sie überwindet die Alterseinsamkeit, die ja bekanntermaßen für die Menschen schlimme Folgen hat. Beinahe die Hälfte der Frauen im Alter über 65 Jahre lebt allein. Vor allem das Risiko, an Depressionen zu erkranken, wird durch Einsamkeit massiv verstärkt.

Sie selbst sind in diesem Jahr 80 Jahre alt geworden. Sie sind gesund, arbeiten selbst in der Tagespflege mit? Was konkret bieten Sie an?

Vor allem Bewegungstraining. Im neuen Jahr speziell für Hochaltrige, damit sie auf den Beinen bleiben. Wenn das nicht mehr geht, ist immer noch das möglich: Wenn die Füße nicht mehr flitzen, tanzen wir vergnügt im Sitzen.

Sie kritisieren oft die Vergabe von Fördermitteln …

Ich bin nicht pauschal gegen Fördermittel. Aber diese Programme verleiten dazu, ökonomisch-kapitalistisch zu fragen: Ist das förderungsfähig? Die Frage müsste aber lauten: Ist das sinnvoll?

Sie haben im politischen Raum in Laubach die Einführung eines Gemeinwohlplans angeregt. Was ist die Intention dahinter?

Der Blick nur durch die ökonomische Brille auf Stadt und Dorf reicht nicht. Man sieht nur das Geld. Die Sicht auf das Gemeinwohl wird ausgeblendet. Immerhin: Der Bürgermeister hat sich offen dafür gezeigt.

Ist die Dorfschmiede auf Dauer lebensfähig?

Natürlich ist sie das – wenn alle mitziehen. Das Dorf ist ein widerstandsfähiger, belastbarer Lebensraum. Unsere Dorfschmiede stärkt diese Resilienz durch Selbstgestaltung und lebenslange Beheimatung.

Herr Häbel, warum machen Sie das alles?

Land und Dorf – das ist eine Art zu leben. Es ist mehr als raus aus den Städten. Landleben bedeutet, Lebensmittel selbst zu erzeugen, Kartoffeln, Gemüse und Obst anzubauen. Sein Brot selbst zu backen. Nah an der Natur zu sein. Nah an den Menschen zu sein. Land und Dorf – das ist (nicht nur) meine Art zu leben.

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